Theodor

Fontane

Irrungen, Wirrungen

Trials And Tribulations

Translated by Katharine Royce
Alignment and Amendments © Doppeltext 2022

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ERSTES KAPITEL

ZWEITES KAPITEL

DRITTES KAPITEL

VIERTES KAPITEL

FÜNFTES KAPITEL

SECHSTES KAPITEL

SIEBENTES KAPITEL

ACHTES KAPITEL

NEUNTES KAPITEL

ZEHNTES KAPITEL

ELFTES KAPITEL

ZWÖLFTES KAPITEL

DREIZEHNTES KAPITEL

VIERZEHNTES KAPITEL

FÜNFZEHNTES KAPITEL

SECHZEHNTES KAPITEL

SIEBZEHNTES KAPITEL

ACHTZEHNTES KAPITEL

NEUNZEHNTES KAPITEL

ZWANZIGSTES KAPITEL

EINUNDZWANZIGSTES KAPITEL

ZWEIUNDZWANZIGSTES KAPITEL

DREIUNDZWANZIGSTES KAPITEL

VIERUNDZWANZIGSTES KAPITEL

FÜNFUNDZWANZIGSTES KAPITEL

SECHSUNDZWANZIGSTES KAPITEL

COLOPHON

ERSTES KAPITEL

An dem Schnitt­punk­te von Kur­fürs­ten­damm und Kur­fürs­ten­stra­ße, schräg ge­gen­über dem »Zoo­lo­gi­schen«,
be­fand sich in der Mit­te der sieb­zi­ger Jah­re noch eine große, feld­ein­wärts sich er­stre­cken­de Gärt­ne­rei,
de­ren klei­nes, drei­fenst­ri­ges, in ei­nem Vor­gärt­chen um etwa hun­dert Schrit­te zu­rück­ge­le­ge­nes Wohn­haus,
trotz al­ler Klein­heit und Zu­rück­ge­zo­gen­heit, von der vor­über­ge­hen­den Stra­ße her sehr wohl er­kannt wer­den konn­te.
Was aber sonst noch zu dem Ge­samt­ge­we­se der Gärt­ne­rei ge­hör­te, ja die recht ei­gent­li­che Haupt­sa­che der­sel­ben aus­mach­te,
war durch eben dies klei­ne Wohn­haus wie durch eine Ku­lis­se ver­steckt,
und nur ein rot und grün ge­stri­che­nes Holz­türm­chen mit ei­nem halb weg­ge­bro­che­nen Zif­fer­blatt un­ter der Turm­spit­ze
(von Uhr selbst kei­ne Rede) ließ ver­mu­ten, daß hin­ter die­ser Ku­lis­se noch et­was an­de­res ver­bor­gen sein müs­se,
wel­che Ver­mu­tung denn auch in ei­ner von Zeit zu Zeit auf­stei­gen­den, das Türm­chen um­schwär­me­n­den Tau­ben­schar
und mehr noch in ei­nem ge­le­gent­li­chen Hun­de­ge­blaff ihre Be­stä­ti­gung fand.
Wo die­ser Hund ei­gent­lich steck­te, das ent­zog sich frei­lich der Wahr­neh­mung, trotz­dem die hart an der lin­ken Ecke ge­le­ge­ne,
von früh bis spät auf­ste­hen­de Haus­tür einen Blick auf ein Stück­chen Ho­fraum ge­stat­te­te.
Über­haupt schi­en sich nichts mit Ab­sicht ver­ber­gen zu wol­len, und doch muß­te je­der, der zu Be­ginn un­se­rer Er­zäh­lung des Weges kam,
sich an dem An­blick des drei­fenst­ri­gen Häus­chens und ei­ni­ger im Vor­gar­ten ste­hen­den Obst­bäu­me ge­nü­gen las­sen.
* * *
Es war die Wo­che nach Pfings­ten, die Zeit der lan­gen Tage, de­ren blen­den­des Licht mit­un­ter kein Ende neh­men woll­te.
Heut’ aber stand die Son­ne schon hin­ter dem Wil­mers­dor­fer Kirch­turm,
und statt der Strah­len, die sie den gan­zen Tag über her­ab­ge­schickt hat­te, la­gen be­reits abend­li­che Schat­ten in dem Vor­gar­ten,
des­sen halb mär­chen­haf­te Stil­le nur noch von der Stil­le des von der al­ten Frau Nimptsch und ih­rer Pfle­ge­toch­ter Lene miet­wei­se be­wohn­ten Häus­chens über­trof­fen wur­de.
Frau Nimptsch selbst aber saß wie ge­wöhn­lich an dem großen, kaum fuß­ho­hen Herd ih­res die gan­ze Haus­front ein­neh­men­den Vor­der­zim­mers
und sah, hockend und vor­ge­beugt, auf einen ru­ßi­gen al­ten Tee­kes­sel,
des­sen De­ckel, trotz­dem der Wra­sen auch vorn aus der Tül­le quoll, be­stän­dig hin und her klap­per­te.
Da­bei hielt die Alte bei­de Hän­de ge­gen die Glut und war so ver­sun­ken in ihre Be­trach­tun­gen und Träu­me­rei­en,
daß sie nicht hör­te, wie die nach dem Flur hin­aus­füh­ren­de Tür auf­ging und eine ro­bus­te Frau­ens­per­son ziem­lich ge­räusch­voll ein­trat.
Erst als die­se letz­tre sich ge­räus­pert und ihre Freun­din und Nach­ba­rin, eben uns­re Frau Nimptsch, mit ei­ner ge­wis­sen Herz­lich­keit bei Na­men ge­nannt hat­te,
wand­te sich die­se nach rück­wärts und sag­te nun auch ih­rer­seits freund­lich und mit ei­nem An­flu­ge von Schel­me­rei:
»Na, das is recht, lie­be Frau Dörr, daß Sie mal wie­der rü­ber­kom­men.
Und noch dazu vons ›Schloß‹. Denn ein Schloß is es und bleibt es. Hat ja ’nen Turm.
Un nu set­zen Sie sich… Ih­ren lie­ben Mann hab’ ich eben weg­ge­hen se­hen. Und muß auch. Is ja heu­te sein Ke­ge­la­bend.«
Die so freund­lich als Frau Dörr Be­grüß­te war nicht bloß eine ro­bus­te, son­dern vor al­lem auch eine sehr statt­lich aus­se­hen­de Frau,
die, ne­ben dem Ein­druck des Gü­ti­gen und Zu­ver­läs­si­gen, zu­gleich den ei­ner be­son­de­ren Be­schränkt­heit mach­te.
Die Nimptsch in­des­sen nahm sicht­lich kei­nen An­stoß dar­an und wie­der­hol­te nur: »Ja, sein Ke­ge­la­bend.
Aber, was ich sa­gen woll­te, lie­be Frau Dörr, mit Dör­ren sei­nen Hut, das geht nicht mehr.
Der is ja schon fuchs­blank und ei­gent­lich schimp­fier­lich. Sie müs­sen ihn ihm weg­neh­men und einen an­dern hin­stel­len.
Viel­leicht merkt er es nich… Und nu rücken Sie ran hier, lie­be Frau Dörr, oder lie­ber da drü­ben auf die Hut­sche…
Lene, na Sie wis­sen ja, is aus­ge­flo­gen un hat mich mal wie­der in Stich ge­las­sen.«
»Er war woll hier?«
»Frei­lich war er. Und bei­de sind nu ein biß­chen auf Wil­mers­dorf zu; den Fuß­weg lang, da kommt kei­ner.
Aber je­den Au­gen­blick kön­nen sie wie­der hier sein.«
»Na, da will ich doch lie­ber gehn.«
»O nich doch, lie­be Frau Dörr. Er bleibt ja nich. Und wenn er auch blie­be, Sie wis­sen ja, der is nicht so.«
»Weiß, weiß. Und wie steht es denn?«
»Ja, wie soll es stehn? Ich glau­be, sie denkt so was, wenn sie’s auch nich wahr ha­ben will, und bil­det sich was ein.«
»O du mei­ne Güte«, sag­te Frau Dörr, wäh­rend sie, statt der ihr an­ge­bo­te­nen Fuß­bank, einen et­was hö­he­ren Sche­mel her­an­schob.
»O du mei­ne Güte, denn is es schlimm. Im­mer wenn das Ein­bil­den an­fängt, fängt auch das Schlim­me an. Das is wie Amen in der Kir­che.
Se­hen Sie, lie­be Frau Nimptsch, mit mir war es ja ei­gent­lich eben­so, man bloß nichts von Ein­bil­dung. Und bloß dar­um war es auch wie­der ganz an­ders.«
Frau Nimptsch ver­stand au­gen­schein­lich nicht recht, was die Dörr mein­te, wes­halb die­se fort­fuhr:
»Und weil ich mir nie was in’n Kopp setz­te, dar­um ging es im­mer ganz glatt und gut, und ich habe nu Dör­ren.
Na, viel is es nich, aber es is doch was An­stän­di­ges, und man kann sich über­all se­hen las­sen.
Und drum bin ich auch in die Kir­che mit ihm ge­fah­ren und nich bloß Stan­des­amt. Bei Stan­des­amt re­den sie im­mer noch.«
Die Nimptsch nick­te.
Frau Dörr aber wie­der­hol­te: »Ja, in die Kir­che, in die Mat­thäi­kir­che un bei Büch­seln.
Aber was ich ei­gent­lich sa­gen woll­te, se­hen Sie, lie­be Frau Nimptsch, ich war ja woll ei­gent­lich grö­ßer und an­zieh­li­cher als die Lene,
un wenn ich auch nicht hüb­scher war (denn so was kann man nie recht wis­sen, un die Ge­schmä­cker sind so ver­schie­den),
so war ich doch so mehr im Vol­len, un das mö­gen man­che. Ja, so viel is rich­tig.
Aber wenn ich auch so­zu­sa­gen fes­ter war un mehr im Ge­wicht fiel un so was hat­te,
nu ja, ich hat­te so was, so war ich doch im­mer man ganz ein­fach un bei­nah sim­pel,
un was nu er war, mein Graf, mit sei­ne fuff­zig aufm Pu­ckel, na, der war auch man ganz sim­pel und bloß im­mer kreuz­fi­del un un­an­stän­dig.
Und da rei­chen ja kei­ne hun­dert Mal, daß ich ihm ge­sagt habe: ›Ne, ne, Graf, das geht nicht, so was ver­bitt’ ich mir…‹ Und im­mer die Al­ten sind so.
Und ich sage bloß, lie­be Frau Nimptsch, Sie kön­nen sich so was gar nich den­ken. Gräß­lich war es.
Und wenn ich mir nu der Lene ih­ren Ba­ron an­se­he, denn schämt es mir im­mer noch, wenn ich den­ke, wie mei­ner war. Und nu gar erst die Lene sel­ber.
Jott, ein En­gel is sie woll gra­de auch nich, aber prop­per und flei­ßig un kann al­les und is für Ord­nung un fürs Re­el­le.
Und se­hen Sie, lie­be Frau Nimptsch, das is gra­de das Trau­ri­ge.
Was da so rum­fliegt, heu­te hier un mor­gen da, na, das kommt nicht um, das fällt wie die Katz im­mer wie­der auf die vier Bei­ne,
aber so’n gu­tes Kind, das al­les ernst­haft nimmt und al­les aus Lie­be tut, ja, das ist schlimm…
Oder viel­leicht is es auch nich so schlimm; Sie ha­ben sie ja bloß an­ge­nom­men, un is nich Ihr ei­gen Fleisch und Blut, un viel­leicht is es eine Prin­zes­sin oder so was.«
Frau Nimptsch schüt­tel­te bei die­ser Ver­mu­tung den Kopf und schi­en ant­wor­ten zu wol­len.
Aber die Dörr war schon auf­ge­stan­den und sag­te, wäh­rend sie den Gar­ten­steig hin­un­ter­sah: »Gott, da kom­men sie.
Und bloß in Zi­vil, un Rock un Hose ganz egal. Aber man sieht es doch! Und nu sagt er ihr was ins Ohr, und sie lacht so vor sich hin.
Aber ganz rot is sie ge­wor­den… Und nu geht er. Und nu… wahr­haf­tig, ich glau­be, er dreht noch mal um.
Nei, nei, er grüßt bloß noch mal, und sie wirft ihm Kuß­fin­ger zu…
Ja, das glaub’ ich; so was lass’ ich mir ge­fal­len… Nei, so war mei­ner nich.«
Frau Dörr sprach noch wei­ter, bis Lene kam und die bei­den Frau­en be­grüß­te.

Theodor Fontane
Irrungen, Wirrungen / Trials And Tribulations
Bilingual Edition
Translated by Katharine Royce

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