Ludwig

Tieck

Der blonde Eckbert

Fair Eckbert

Translated by Paul B. Thomas
Alignment and Amendments © Doppeltext 2022

TITLE PAGE

DER BLONDE ECKBERT

COLOPHON

In ei­ner Ge­gend des Har­zes wohn­te ein Rit­ter, den man ge­wöhn­lich nur den blon­den Eck­bert nann­te.
Er war ohn­ge­fähr vier­zig Jahr alt, kaum von mitt­ler Grö­ße, und kur­ze hell­blon­de Haa­re la­gen schlicht und dicht an sei­nem blas­sen ein­ge­fal­le­nen Ge­sich­te.
Er leb­te sehr ru­hig für sich und war nie­mals in den Feh­den sei­ner Nach­barn ver­wi­ckelt,
auch sah man ihn nur sel­ten au­ßer­halb den Ring­mau­ern sei­nes klei­nen Schlos­ses.
Sein Weib lieb­te die Ein­sam­keit eben­so­sehr, und bei­de schie­nen sich von Her­zen zu lie­ben,
nur klag­ten sie ge­wöhn­lich dar­über, daß der Him­mel ihre Ehe mit kei­nen Kin­dern seg­nen wol­le.
Nur sel­ten wur­de Eck­bert von Gäs­ten be­sucht, und wenn es auch ge­sch­ah,
so wur­de ih­ret­we­gen fast nichts in dem ge­wöhn­li­chen Gan­ge des Le­bens ge­än­dert,
die Mä­ßig­keit wohn­te dort, und die Spar­sam­keit selbst schi­en al­les an­zu­ord­nen.
Eck­bert war als­dann hei­ter und auf­ge­räumt, nur wenn er al­lein war, be­merk­te man an ihm eine ge­wis­se Ver­schlos­sen­heit, eine stil­le zu­rück­hal­ten­de Me­lan­cho­lie.
Nie­mand kam so häu­fig auf die Burg als Phil­ipp Walt­her, ein Mann, dem sich Eck­bert an­ge­schlos­sen hat­te,
weil er an die­sem ohn­ge­fähr die­sel­be Art zu den­ken fand, der auch er am meis­ten zu­ge­tan war.
Die­ser wohn­te ei­gent­lich in Fran­ken, hielt sich aber oft über ein hal­b­es Jahr in der Nähe von Eck­berts Burg auf,
sam­mel­te Kräu­ter und Stei­ne, und be­schäf­tig­te sich da­mit, sie in Ord­nung zu brin­gen,
er leb­te von ei­nem klei­nen Ver­mö­gen und war von nie­mand ab­hän­gig.
Eck­bert be­glei­te­te ihn oft auf sei­nen ein­sa­men Spa­zier­gän­gen, und mit je­dem Jah­re ent­spann sich zwi­schen ih­nen eine in­ni­ge­re Freund­schaft.
Es gibt Stun­den, in de­nen es den Men­schen ängs­tigt, wenn er vor sei­nem Freun­de ein Ge­heim­nis ha­ben soll,
was er bis da­hin oft mit vie­ler Sorg­falt ver­bor­gen hat,
die See­le fühlt dann einen un­wi­der­steh­li­chen Trieb, sich ganz mit­zu­tei­len,
dem Freun­de auch das In­ners­te auf­zu­schlie­ßen, da­mit er um so mehr un­ser Freund wer­de.
In die­sen Au­gen­bli­cken ge­ben sich die zar­ten See­len ein­an­der zu er­ken­nen,
und zu­wei­len ge­schieht es wohl auch, daß ei­ner vor der Be­kannt­schaft des an­dern zu­rück­schreckt.
Es war schon im Herbst, als Eck­bert an ei­nem neb­lich­ten Abend mit sei­nem Freun­de und sei­nem Wei­be Ber­t­ha um das Feu­er ei­nes Ka­mi­nes saß.
Die Flam­me warf einen hel­len Schein durch das Ge­mach und spiel­te oben an der De­cke,
die Nacht sah schwarz zu den Fens­tern her­ein, und die Bäu­me drau­ßen schüt­tel­ten sich vor nas­ser Käl­te.
Walt­her klag­te über den wei­ten Rück­weg, den er habe, und Eck­bert schlug ihm vor, bei ihm zu blei­ben,
die hal­be Nacht un­ter trau­li­chen Ge­sprä­chen hin­zu­brin­gen, und dann in ei­nem Ge­ma­che des Hau­ses bis am Mor­gen zu schla­fen.
Walt­her ging den Vor­schlag ein, und nun ward Wein und die Abend­mahl­zeit her­ein­ge­bracht,
das Feu­er durch Holz ver­mehrt, und das Ge­spräch der Freun­de heit­rer und ver­trau­li­cher.
Als das Abendes­sen ab­ge­tra­gen war, und sich die Knech­te wie­der ent­fernt hat­ten, nahm Eck­bert die Hand Walt­hers und sag­te:
»Freund, Ihr soll­tet Euch ein­mal von mei­ner Frau die Ge­schich­te ih­rer Ju­gend er­zäh­len las­sen, die selt­sam ge­nug ist.«
– »Gern«, sag­te Walt­her, und man setz­te sich wie­der um den Ka­min.
Es war jetzt ge­ra­de Mit­ter­nacht, der Mond sah ab­wech­selnd durch die vor­über­flat­tern­den Wol­ken.
»Ihr müßt mich nicht für zu­dring­lich hal­ten«, fing Ber­t­ha an, »mein Mann sagt, daß Ihr so edel denkt, daß es un­recht sei, Euch et­was zu ver­heh­len.
Nur hal­tet mei­ne Er­zäh­lung für kein Mär­chen, so son­der­bar sie auch klin­gen mag.

Ludwig Tieck
Der blonde Eckbert / Fair Eckbert
Bilingual Edition
Translated by Paul B. Thomas

This is an enhanced ebook. Click or tap on the text to display the translation.

Both the original work and the translation are in the public domain. All rights for the aligned bilingual editions and for the amended translations are owned by Doppeltext.

We offer many other innovative bilingual titles. Visit www.doppeltext.com to learn more.

We welcome your feedback and questions.

Doppeltext
Igor Kogan & Tatiana Zelenska
Karwendelstr. 25
81369 Munich
Germany
+49-89-74 79 28 26
www.doppeltext.com
info@doppeltext.com